Brunner - Kritik der Grünen Ökonomie
Für die Industrienationen bedeutet die Umsetzung des Paris Agreement, dass unser Wirtschafts- und Energiesystem bis zum Jahr 2050 dekarbonisert sein, also ohne fossile Energieträger auskommen muss. Wie schaffen wir das? Mit ordnungspolitischen Maßnahmen oder Marktmechanismen? Ich bin überzeugt, es braucht beides! Schon in Paris war die Message klar: Es ist jetzt Aufgabe der Regierungen und Parlamente, den Klimavertrag in Gesetze zu gießen UND der Klimavertrag ist ein deutliches Signal an die Märkte.
Ich möchte daher das Plädoyer für eine „neue politische Ökologie“ am Ende des Buches von Thomas Fatheuer, Lili Fuhr und Barbara Unmüßig aufgreifen und unterstützen. Ja, wir brauchen mehr Markt, aber einen fairen Markt und dafür muss die Politik und insbesondere die Umweltpolitik Ziele und Regeln vorgeben. Das Gestalten von Rahmenbedingungen ist ureigenste Aufgaben der Politik, ich finde diese Aufgabe muss wieder stärker wahrgenommen werden, damit klar ist wohin die Reise geht.
Marktmechanismen werden größtenteils in Zusammenhang mit der Klimafrage diskutiert. Es gibt aber auch noch viele andere kritische Umweltbereiche. Die Biodiversität auf unserem Planeten ist zB in genauso kritischem Zustand wie unser Klima. Diese Themen sind im Buch auch alle angesprochen. Der Markt alleine wird und kann all diese Fragen nicht richten. Ich halte es außerdem für ziemlich anmaßend zu denken, dass wir die Wunder der Natur in ihrer Einzigartigkeit und Komplexität mit Marktinstrumenten beschreiben, ja sogar regeln könnten.
Aber bleiben wir beim Thema Klimaschutz. Vorweg: Ich bin überzeugt, wir brauchen einen Preis für CO2 – genau jetzt. Aber der Versuch Klimaschutz über den Markt zu regeln (nämlich den ETS – European Emission Trading System) hat deutlich gezeigt, dass es ohne Vorgaben nicht funktioniert. Der ETS hat nämlich nicht zu weniger CO2-Ausstoß geführt, wohl aber zu guten Geschäften für viele Unternehmen auf Kosten des Klimaschutzes. In diesem Zusammenhang ist es mir wichtig klar zu stellen, dass ich kein Problem mit guten Geschäften von Unternehmen habe, wenn sie durch Klimaschutz zu Stande kommen und nicht auf Kosten des Klimaschutzes. Im Klimaschutz hat der Markt also bisher versagt.
Ziemlich ärgerlich finde ich auch die Diskussion um das Marktversagen im Energiebereich. Die erneuerbaren Energien seien Schuld, dass die Strompreise im Keller sind und deswegen Kohlekraftwerke anstatt effizienter Gaskraftwerke am Netz sind. Ganz abgesehen davon, dass nicht die erneuerbaren Energieträger Schuld am Betrieb von Kohlekraftwerken sind sondern eben der nicht vorhandene CO2-Preis (aufgrund fehlender politischer Vorgaben), finde ich auch diese Diskussion anmaßend, denn wir haben einen Markt der auf fossile Energien und ein fossiles System ausgerichtet ist. Energiewende bedeutet aber nicht, erneuerbare Energieträger in ein fossiles System zu pressen, sondern ein erneuerbares System zu gestalten, und das ist Aufgabe der Politik.
Selbiges gilt für das Thema Offsetting. Hier wird argumentiert, dass es doch sinnvoller sei, Klimaschutzmaßnahmen dort zu finanzieren und umzusetzen, wo sie am günstigsten sind, denn so könne ja auch am effizientesten Klimaschutz gemacht werden. Das klingt im ersten Moment ja ganz einleuchtend. Aber (wie im Buch angeführt) Offsetting ermöglicht und begrenzt nicht, auch dafür gibt es Beispiele – zB. Österreich. Österreich hat seine CO2-Reduktionsverpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll bei weitem verfehlt, durch Offsetting konnte die Bilanz letztlich aber doch ausgeglichen werden. Offsetting war im Fall von Österreich also nichts anderes als ein Freikaufen aus Klimaschutzverpflichtungen – wir zahlen, machen dafür aber so weiter, als ob es den Klimawandel nicht gäbe. Und genau dieser Zugang hat auch die Klimaverhandlungen über viele, viele Jahre so schwierig gemacht. Immer wieder wurde sinngemäß von VertreterInnen aus Entwicklungsländern deutlich Folgendes zur Sprache gebracht: „Warum sollen wir als Hauptbetroffene des von den Industrienationen verursachten Klimawandels einem Klimavertrag (und damit auch Klimaschutzverpflichtungen für die Entwicklungsländer) zustimmen, wenn die Industrienationen nicht bereit sind etwas zu ändern – ihr zahlt, weil ihr das Geld habt, damit ihr an eurem klimaschädlichen Verhalten nichts ändern müsst.“
Die Eindämmung des Klimawandels und die Umsetzung des Paris Agreements bedeutet eine umfassende Transformation unserer Wirtschafts- und Lebensweise, und das ist eine (Haus)Aufgabe, die jedes Land bewältigen muss.
Ein weiteres Problem des Offsetting ist, dass dadurch so ziemlich alles grün werden kann. Im Buch wurde die Urangewinnung in Namibia als Beispiel angeführt. „Grünes Uran“ macht wohl ziemlich deutlich, welch absurde Auswirkungen Offsetting haben kann. Durch Offsetting kann aber auch jede Flugreise oder jede Autobahn so dargestellt werden, als ob durch den Eingriff die Welt grüner werde als ohne. Die für die Natur positiv beschriebenen Effekte durch Ausgleichsmaßnahmen bei Autobahnprojekten kennen sicher viele, auch wenn man diesen Maßnahmen den positiven Effekt vielleicht gar nicht absprechen kann, niemand kann sicherstellen, dass der Eingriff auf der anderen Seite, zB in einem Naturschutzgebiet, nicht schwerer wiegt.
Mir fällt in Zusammenhang mit Offsetting auch eine sehr lebhafte Diskussion um „CO2-neutrale Autorennen“ ein. Wenn nur genug ökologische Projekte als Ausgleich finanziert werden, kann man auch ein Autorennen als grün darstellen. Natürlich sollen bei Großveranstaltungen ökologische Maßnahmen gesetzt werden, aber wenn wenn dabei das Bild entsteht, es sei für die Umwelt und das Klima egal, ob Autos Sunden lang im Kreis fahren, ist das falsch. Ganz abgesehen davon, dass ich es dann schwierig finde, Menschen zu vermitteln, dass sie in ihrem Alltag möglichst auf ihr Auto verzichten sollen.
Wir brauchen also Transformation, nicht Kompensation!
Wie sieht ein Wirtschaftssystem aus, das die Grenzen unseres Planeten und gleichen Zugang aller Menschen zu Ressourcen akzeptiert? Diese Diskussion wünsche ich mir, und von Wirtschafts- und Industrievertretungen im 21. Jahrhundert erwarte ich mir, sich in diese Diskussion einzubringen, anstatt einfach nur Klimaschutz und Klimapolitik zu blockieren. Es gibt sehr viele interessante und spannende Ansätze in Wirtschaft und Industrie. Ich finde man kann seine Rolle und sein Potenzial am besten verwirklichen, wenn man weiß, wo sein Platz ist. Das Wirtschaftssystem hat einen klar definierten Platz, als Teilsystem innerhalb des Öko- und Sozialsystems!
Bei Überlegungen zur Gestaltung des Wirtschaftssystems landet man sehr schnell bei der Wachstumsfrage. Dass es auf einem begrenzten Planeten kein unbegrenztes Wachstum geben kann, steht außer Frage. In einer Zeit, in der umfassende Systemänderungen und Transformation notwendig sind, kann auch mehr desselben nicht funktionieren. Mehr Wirtschaftswachstum bedeutet, mit höherer Geschwindigkeit an die Wand zu fahren, wenn man eigentlich umkehren sollte. Wachstum bedeutet nicht nur Druck auf das Ökosystem, sondern auch auf die Menschen, die im Wirtschaftssystem funktionieren sollen. Ist ein System, das nur funktioniert, wenn jede Generation mehr produziert und mehr leistet als die letzte, nicht eher Fluch als Segen? Ich glaube nicht ohne Grund spüren viele Menschen in unserer Zeit eine Sehnsucht nach weniger.
Das BIP ist sicher kein Maßstab für die Herausforderungen, vor denen wir stehen. Das führt uns zur Diskussion um „Grünes Wachstum“, die im Buch diskutiert wird. Der Begriff „Grünes Wachstum“ überlagerte die Umweltkonferenz Rio+20 2012. Ähnlich wie beim Offsetting in der Klimafrage wurde „Grünes Wachstum“ von vielen als neues Etikett für ein Weitermachen bisher verstanden. Ganz abgesehen davon, dass „Grünes Wachstum“ nicht ausreichend definiert ist, ist auch „grünes Wachstum“ nicht unendlich möglich.
Ja, wir brauchen Rahmenbedingungen und Märkte die die „Grüne Ökonomie“ stärken, innerhalb der Grenzen des Ökosystems. Trotz Wachstumskritik soll hier angemerkt werden, dass die europäische Umweltwirtschaft in der Zeit der Finanzkrise als einzige gewachsen ist – also krisensicherer ist, und Europas Wirtschaft durch die Krise getragen hat. In der Diskussion um Rahmenbedingungen für „Grüne Ökonomie“ gelangt man schnell zur Begriffen wie Innovation, Effizienz und neuen Technologien. Auch hier möchte ich wieder festhalten, dass wir mehr Innovation und mehr Effizienz brauchen, aber sie können nur Teil der Lösung sein. Die Lösung ist ein umfassender Systemwandel. Effizientere Kohlekraftwerke sind nicht die Lösung der Klimafrage, effizientere Autos oder neue Antriebssysteme auch nicht, im besten Fall sind sie Teil eines neuen Verkehrssystems. CO2-effizientere Produktion ist notwendig, reicht aber nicht, auch eine noch so effiziente Produktion hilft uns nicht, wenn in Absolut-Werten immer mehr CO2 ausgestoßen wird.
Märkte und Marktmechanismen können und sollen Teil der Umweltpolitik sein. Dafür müssen wir sie so gestalten, dass die Natur (soweit möglich) fair bewertet wird und Kosten für Schäden und Nutzen gerecht verteilt werden.
Die Ungerechtigkeit in der Kostenverteilung ist selten so groß wie in der Umweltfrage, natürliche Ressourcen werden oft gratis oder sehr günstig genutzt, Konzerne machen damit Profite und die Kosten für Schäden und Belastungen trägt die Allgemeinheit. Das bringt uns zur Notwendigkeit der Ökologisierung des Steuersystems – und zur dringend notwendigen diesbezüglichen politischen Entscheidung!
Eine faire Bewertung der Natur ist nötig, stößt aber auch an Grenzen. Wie bewertet man einen Super-Gau? Ist die sicherere Variante nicht doch die politische Entscheidung des Atomausstiegs? Und wie bewertet man die Leistungen der Natur, als Nahrungsmittel- und Energielieferant, als Erholungsfaktor und vieles mehr. Die Bewertung dieser Leistungen findet zum Teil schon statt, oft leider mit dem Faktor Null. Ein Problem unseres Systems ist, dass Gesetzmäßigkeiten des Wirtschaftssystems über die Naturgesetze gestellt werden, und man kann schon die Frage stellen warum die Natur nach den Maßstäben des Wirtschaftssystems bewertet werden soll. Vielleicht sollten wir überlegen, wie ein neues Wirtschaftssystems nach den Maßstäben der Natur bewertet werden kann? Aber wenn man bei den Begrifflichkeiten des Finanzsystems bleibt, sollten wir zumindest auf die Prinzipien des aus der Forstwirtschaft stammenden (und leider mittlerweile inflationär verwendetet) Konzeptes der Nachhaltigkeit zurück greifen: Wir dürfen nur von den Zinsen leben, das Kapital muss unangetastet bleiben. Derzeit leben wir aber auf Pump – sowohl gegenüber künftigen Generationen als auch gegenüber anderen Menschen innerhalb unserer Generation.
Wenn wir den Klimawandel eindämmen wollen, haben wir auch nur noch ein bestimmtes Budget zur Verfügung – ein CO2-Budget. Zwei Drittel der bereits bekannten fossilen Reserven dürfen nicht mehr genutzt werden. Die Einhaltung des CO2-Budgets wird Auswirkungen auf das Wirtschaftssystem haben. Gelder die in den nicht nutzbaren Reserven veranlagt sind, werden stranded assets, nach der Immobilienblase 2007 wird in Umwelt- wie in Finanzkreisen immer mehr von der Carbon Bubble gesprochen. Die Einhaltung von Naturgesetzen hat also sehr konkrete Auswirkungen auf die Finanz- und Wirtschaftswelt, die sich in ihrem eigenen Interesse schnellstmöglich anpassen und neu ausrichten sollte.
Die Beschlüsse von Paris haben die Notwendigkeit der Anpassung und Transformation deutlicher gemacht und die Grüne Bewegung gestärkt. Das Buch der „Kritik der Grünen Ökonomie“ wurde offensichtlich vor der Klimakonferenz in Paris geschrieben, denn es geht noch vom Zwei-Grad-Klimaziel aus, in Paris wurde ein Temperaturziel von 1,5-Grad beschlossen. Ebenso wird den internationalen Klimaverhandlungen im Buch wenig Hoffnung entgegen gebracht. Das wurde in Paris zum Glück widerlegt. Was uns die Märkte jetzt aber zeigen ist, dass es wenig Vertrauen in die Umsetzung des Paris Agreements zu geben scheint, denn wie sonst lässt sich erklären, dass die CO2-Preise nach der Klimakonferenz – dem bisher deutlichsten politischen Klimaschutzsignal – weiter gefallen sind?
Es ist jetzt also dringend notwendig, die Beschlüsse ernst zu nehmen und in ihrer Konsequenz umzusetzen, um auch die erforderlichen Reaktionen der Märkte auszulösen.
Meine Erfahrung in der Umweltpolitik ist, dass „der Markt“ oft als Ausrede für Nichthandeln benutzt wird und die Verantwortung auf den Markt ausgelagert wird. Ich halte es für einen großen Fehler wenn Politik aus Feigheit vor Entscheidungen oder aufgrund von fehlenden Visionen für das Gestalten, die Handlungsmacht an Märkte abgibt. Spätestens nach dem Paris Agreement ist klar, dass es keine neuen Ölheizungen mehr geben darf. Mit Ölpreisen, die auf einem historischen Tiefststand sind, wird das der Markt jetzt nicht regeln. Dazu brauchen wir jetzt politische Entscheidungen – entweder durch ordnungspolitische Regelungen oder durch entsprechend konsequente Eingriffe in das Marktdesign. Im Fall der Ölheizungen bin ich für ordnungspolitischen Regelungen, denn ich finde verantwortungsvolle Politik im 21. Jahrhundert muss aussprechen können, dass es keine neuen Ölheizungen mehr gibt. Zusätzlich müssen Märkte so gestaltet werden, dass sich klimaschädliche Maßnahmen oder Technologien einfach nicht mehr rechnen. Ein oft gewählter Mittelweg sind sogenannte „freiwillige Vereinbarungen“ zwischen Politik und Wirtschaft, wie gut das funktioniert sehen wir an den nicht mehr vorhandenen Mehrweg-Getränkeverpackungen.
Ja, Märkte können und sollen eine wichtige Rolle bei der Transformation unseres Wirtschaftssystems spielen, aber dafür müssen sie selbst transformiert werden, und das ist Aufgabe der Politik. Umweltpolitik und politische Maßnahmen sind nicht gegen die Wirtschaft, sie begünstigen die Wirtschaft die wir brauchen. Ich möchte also auch mit dem Plädoyer für eine neue politische Ökologie enden und einem Plädoyer dafür Klima- und Umweltschutz nicht als Belastung sondern als große Chance für eine neue Gestaltung unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems zu sehen.
Volker Plass ist Bundessprecher der Grünen Wirtschaft.