Petrik - "Die haben ja keine Ahnung"
Im Rahmen meiner 10-monatigen Jobtour „REGINA WILL’S WISSEN“ hatte ich eindrücklichen beruflichen und persönlichen Kontakt mit jenen, denen die Bezeichnung „Working Class“ zugeschrieben wird. Mit einigen von ihnen bin ich noch heute persönlich in Kontakt und im Gespräch. Aus den Erfahrungen aus diesen 10 Monaten und aus Gesprächen mit meinen nunmehr ehemaligen ArbeitskollegInnen ziehe ich die Schlüsse, die ich auf den folgenden Zeilen erläutere. Zum konkreten Verständnis werde ich einige davon mit Szenen aus meiner Jobtour illustrieren.
Verstehen und verstanden werden
Analysen haben es so an sich, dass Menschen in Gruppen geteilt werden, die entweder durch ein bestimmtes Merkmal (Alter, Geschlecht, formale Bildung, Wohnort etc.) ausgezeichnet sind, oder die ein Bündel an Zuschreibungen in sich vereinen. Das hat alles seine Berechtigung, verfälscht aber auch den Blick auf die innere Diversität jeder Gruppe und die Gemeinsamkeiten über Berufsgruppen hinweg. Ausbildungs- und Arbeitsbiografien haben sich in den letzten 50 Jahren sehr verändert, die Höhe von Einkommen ist nicht einfach bestimmten Berufsgruppen zuzuordnen. So habe ich etwa in meinem Monat als Bauarbeiterin mehr verdient als in so manchen Monaten als Akademikerin. Dennoch gibt es ein scheinbar tiefsitzendes Bild von gesellschaftlich „höherwertig“ und „niederwertig“ qualifizierter Arbeit und von mehr oder weniger sinnerfüllten Tätigkeiten. Diese Zuschreibungen bedingen eine innere Distanz zwischen Angehörigen verschiedener Berufsgruppen.
Ich stehe beim MERKUR hinter der Feinkosttheke und bediene die KundInnen. Ein Mann bestellt 20 Dekagramm Honigkrustenschinken und sagt zu mir: „Ich finde das bewundernswert, dass jemand wie Sie sich auf so eine Arbeit einlassen.“
Der Mann wollte mir einfach etwas Nettes sagen und wäre ich nicht schon tief in der Identifikation mit meinen Kolleginnen im Verkauf gewesen, hätte ich es wohl auch als nett empfunden. Als Feinkostverkäuferin – man darf dabei auch an die so gern genannten „BILLA-Kassiererin“ denken – habe ich eine Arroganz in der Aussage meines Gegenübers empfunden. Das, was als Bewunderung ausgesprochen wurde, beinhaltete gleichzeitig eine Herablassung gegenüber meiner Tätigkeit. Was den Anschein von Respekt hatte, zeugte von der Ansicht des Sprechenden, dass meine Tätigkeit minderwertig wäre. In mir stieg eine Wut auf, weil der Herr an der anderen Seite der Theke sich anmaßte, meinen (aktuellen) Berufsstand als nicht anzustrebend zu qualifizieren. Auch in anderen Gesprächen erlebte ich das.
Ich: „Das ist ein guter Job, er ist sinnvoll, er macht Freude und ich habe nette Kolleginnen. Ich würde ihn wieder machen.“ Eine Bekannte daraufhin: „Aber wenn eines deiner Kinder hier anfangen würde, wäre dir das auch nicht recht.“
Diese Aussagen sind keine Einzelphänomene, sie spiegeln wider, was VertreterInnen sogenannter „etablierter Politik“ ausstrahlen, wenn sie über verschiedene Berufsgruppen sprechen. Es ist die Botschaft: „Ihr habt es aufgrund mangelnder Bildung halt nicht weiter gebracht im Leben und müsst euch mit solchen sinnbefreiten Arbeiten herumschlagen. Aber wir, die wir gut gebildet sind und Karriere auf höherem Niveau machen, sind jetzt in einer Position, in der wir uns um euch kümmern können.“ Diese Bewertung tut nicht nur weh, sie zeugt auch von einer überheblichen Fehleinschätzung von dem, was Menschen als für sie selbst gute Arbeit einschätzen.
An der Nähmaschine im TRIUMPH-Werk zeigt mit eine junge Kollegin, wie ich eine bestimmte Naht nähen soll. Sie macht das mehrmals vor, dreht sich dann zu mir, strahlt mich an und sagt: „Eine schöne Arbeit, gelt?“
In diesem Moment war ich nicht nur berührt, sondern auch sehr beschämt. Ich musste mir eingestehen, dass auch ich in den Nähhallen mehr einen Ort der Notwendigkeit von Lohnarbeit als einen Platz der Freude an der eigenen Arbeit gesehen hatte. Es wurde mir klar, dass wir Menschen wie meine ArbeitskollegInnen niemals erreichen können, wenn wir nicht zuerst unsere Haltung ihrer Arbeit und damit auch ihnen gegenüber reflektieren. Ich denke, das ist auch ein Grund, warum die SPÖ hier an Boden verliert. Zu oft hört man die Botschaft: „Seht euch diesen tollen Politiker an, der sich aus einer kleinen Arbeiterfamilie heraus durch Fleiß in höhere gesellschaftliche Kreise hinaufgearbeitet hat.“ Solche Sätze beinhalten eine Fülle an Abwehr und Geringschätzung gegenüber breiten Bevölkerungsschichten, denen vermittelt wird, sie würden sich in einem Zustand befinden, der wenig Wert hat und aus dem man sich tunlichst hinausbewegen sollte. Menschen, die in diesem Leben zu Hause sind und es auch mögen, fühlen sich dadurch abgewertet und nicht verstanden.
In der Beobachtung öffentlicher Debatten erleben meine KollegInnen oft, was ihnen von KommentatorInnen oder PolitikerInnen zugeschrieben wird: Sie hätten zu wenig Bildung, die falschen Informationen und ließen sich durch Propaganda verführen. Wer solcherlei Fremdwahrnehmung ausgesetzt ist, fühlt sich nicht verstanden. Da ist es unerheblich, welche Politik konkret betrieben wird.
Von Geschichten und Bildern
Parteien werden über eine ihnen zugeschriebene Geschichte wahrgenommen. Ein Problem der Kommunikation zwischen den GRÜNEN und vielen BürgerInnen ist, dass es uns noch nicht gelungen ist, die eine Geschichte über uns zu erzählen, die zum einen verständlich und nachvollziehbar ist und die zum anderen stärkeren Eindruck hinterlässt als die Geschichten, die andere über die GRÜNEN erzählen.
Ich arbeite als Hilfsarbeiterin am Bau und bin gerade beim Mörtel Auftragen. Der Kollege, der mir das zeigt, sagt nebenbei: „Grüne können also eh cool sein.“ Ich bin die erste Grüne, die er persönlich kennengelernt hat.
Menschen denken in Bildern und nicht in Konzepten. Wenn die GRÜNEN bei Bevölkerungsgruppen ankommen wollen, die ihre Wahlentscheidungen nicht aufgrund von Konzeptvergleichen treffen – und das sind sehr, sehr viele -, dann müssen wir uns darin einig werden, welche Bilder wir über uns selbst erzeugen wollen. So vielfältig wie die GRÜNEN sind, so vielfältig sind auch die Bilder, die sie über sich selbst in Umlauf bringen. Das macht es schwer, sie eindeutig zu identifizieren.
Nach all meinen Gesprächen mit Angehörigen jener Bevölkerungsgruppe, die die GRÜNEN so schwer erreichen, bin ich überzeugt davon, dass wir erst dann in deren Wahrnehmung halbwegs kongruent ankommen, wenn wir bereit sind, uns in der öffentlichen Kommunikation (nicht in unserer Politik, die alltäglich im Hintergrund passiert) auf ein bis zwei Bilder zu einigen, mit denen wir in Zukunft identifiziert werden wollen. Dann und nur dann werden sie stärker wirken als die Bilder, die uns von anderen umgehängt werden. Nur so werden wir überhaupt die Chance zu einer nachhaltigen Kommunikation mit diesen WählerInnengruppen kommen.
Regina Petrik, Landtagsabgeordnete und Landessprecherin der GRÜNEN Burgenland