Pilz - Die Grünen: Mit doppelter Anstrengung, aber ohne Ziel?
Es ist bemerkenswert, dass wir in einer Krisenzeit, in der Staaten und ihre Regierungen wie Dominos an die extreme Rechte fallen und die Europäische Union lieber zerbricht als sich ändert, über unsere Ziele reden müssen. Wahrscheinlich sind wir unserem eigenen Traum, dass wir von einer Koalition in die nächste wachsen, auf den Leim gegangen. Jetzt heißt es „Aufwachen“.
Auf drei Ebenen haben wir Ziele:
1. das „große“ Ziel: die Veränderung der Grundlagen unsere Produktions- und Verteilungssystems;
2. das „strategische“ Ziel: die Schaffung politischer Mehrheiten gegen rechts – mit uns als Zentrum eines Gegenpols;
3. das Parteiziel: endlich auch auf Bundesebene mitregieren.
Wenn es stimmt, dass wir vor einer der größten Krisen des Kapitalismus stehen, verliert die Frage nach dem „großen“ Ziel ihren akademischen Charakter. Auch der Widerstand der Spitzen der nationalen und europäischen Politik gegen einen Bruch mit dem Finanzkapitalismus als erstem Schritt in eine neue Richtung zeigt, dass es um mehr geht als um die Bewältigung einer Krise.
Immer mehr Menschen versuchen jetzt, den Streit um die Zukunft aufzunehmen. Mit großer Verspätung entsteht so eine europäische Linke. Während sie noch nach neuen Wegen sucht, herrscht über eine Aufgabe bereits weitgehend Einigkeit: Nur sie kann in den nächsten Jahren verhindern, dass die Rechte in Europa die Macht übernimmt.
Dazu muss die neue Linke die Köpfe gewinnen. Aber wo sind die?
Als wir 1986 ins Parlament einzogen, schien alles noch einfach: Links war rot, rechts war schwarz, Grün war das Neue, und Wechselwähler entschieden Wahlen.
Heute werden Wahlen von Protestwählern entschieden. Aber wer sind sie? Ihren Kern bildeten bis vor kurzem fast ausschließlich Inländer mit wenig Hoffnung und immer mehr Wut. Sie fühlen sich angegriffen. Sie sind fast geschlossen nach rechts gewandert, weil sie nur von dort klare und einfache Antworten auf ihre Fragen nach Sicherheit und Gerechtigkeit erhalten haben.
Die autoritäre Rechte hetzt arme Inländer auf arme Ausländer. Eine demokratische Linke richtet sich in ganz Europa gegen einen ganz anderen Gegner: das Finanzkapital und seine Mitläufer in Banken und Parteien. Junckers Kleptokratie ist für uns keine Alternative zu Orbans Stacheldrahtregime.
Rechte volken um. Linke verteilen um: Arbeit, Einkommen und Lebenschancen. Am reichsten Kontinent der Welt ist das keine Frage des Könnens sondern eine des Wollens.
Das muss in die Köpfe, so einfach, so klar und so verständlich wie möglich. Wer das als „populistisch“ bezeichnet, hat nicht unrecht. Es geht um Hegemonie. Um die Bilder, die das politische Lebern prägen. Es ist nicht egal, ob dabei ein Flüchtling mit seinem Schlepper oder ein Spekulant mit seinem Minister als Gegner erkannt werden.
Bei all dem ist klar: Wir haben nicht viel Zeit. 2018 treten wir als starker und attraktiver Gegenpol zur FPÖ an. Wir kämpfen um Protestwähler und damit um die Mehrheit.
Oder wir lassen es. Vielleicht gibt es auch nach 2018 eine rot-schwarze Suppe, auf die sich die Köche grünen Schnittlauch wünschen. Vielleicht dürfen wir mitregieren.
Dann bleiben nur noch zwei Möglichkeiten: Es gibt keine Alternative zur FPÖ. Oder: Es gibt eine neue Partei.
Aber warum sollten nicht wir es versuchen? Gegenpol – Mehrheit gegen rechts – und eine Politik der Umverteilung von Einkommen, Arbeit und Lebenschancen, das steht längst in unseren Programmen.
Wir müssen es uns nur zutrauen.
Peter Pilz ist Sicherheitssprecher der Grünen im österreichischen Nationalrat.